Am Sonntag Abend kam ich in Vicenza an – einer wunderschönen, kleinen Stadt in Norditalien. Leicht erschöpft von der ersten ganz selbstständigen Flugreise und trotzdem aufgeregt auf das, was mich erwartete, stand ich in der Bahnhofshalle und wartete auf den Treffzeitpunkt mit Eurocultura (der hiesigen Organisation) und der Gastfamilie. Um 19 Uhr stand also ein kleines Grüppchen von internationalen Praktikumsanwärtern und Einwohnern Vicenzas in der Bahnhofshalle und Marta von Eurocultura teilte uns zu.
Ich wurde von meinem „Gastbruder“ Martino mit zügigen Schritten zur Wohnung geführt, in der ich die nächsten drei Wochen wohnen würde und mit dem ersten Schritt über die Schwelle war mir klar, dass ich mich hier wohl fühlen würde. Ich hatte das Glück in einer Altbauwohnung direkt im Zentrum der Stadt unter zu kommen. Von der Straße war das rege sonntägliche Treiben (In Italien sind die Straßen dann besonders voll, statt leergefegt) zu hören und meine „Gastmutter“ Patricia bereitete schon Pasta mit frischer Tomatensoße vor, welches tatsächlich unfassbar gut schmeckte. Martino und ich konnten uns sehr gut unterhalten, da wir beide ähnlich gut Englisch sprechen, während ich mit Patricia meistens über Hände und Füße kommunizieren musste, da sie genauso wenig Englisch, geschweige denn Deutsch, wie ich Italienisch spricht.
Überraschung – es geht nach Venedig
Am nächsten Morgen hatten alle deutschen Teilnehmer erst einmal eine Einführung bei Eurocultura in der uns allerhand organisatorische Dinge erklärt wurden und endlich verraten wurde wo wir arbeiten würden. Mich erwartete eine große Überraschung: Da der unerwartete Fall aufgetreten war, dass wir drei Schneiderauszubildende auf einmal waren und Vicenza nur zwei Schneidereien hat, hatte ich das große Los gezogen in einer Kostümschneiderei direkt in Venedig zu arbeiten. Mit dieser freudigen Nachricht entließ man mich dann in den freien Nachmittag, den ich für die erste Orientierung und Kontakte knüpfen nutze.
Am nächsten Tag begleitete mich Marta zum Vorstellungsgespräch in Venedig, bei dem ich einmal meine vier auswendig gelernten italienischen Sätze runter spulte, nett guckte und einmal durch den erstaunlich großen Betrieb geführt wurde. Am nächsten Tag sollte es anfangen: von 9-18 Uhr Arbeitszeit, eine große Pause. Schon saßen wir wieder in dem Zug zurück und ich war genau pünktlich zu der deutschen Stadtführung wieder in Vicenza. Wir wurden von einem historischen Gebäude zum nächsten geführt, das dauerte sehr lange, da einfach jedes Haus in der Altstadt historisch ist, aber war auch super interessant, da Giuseppe unser Guide selbst so begeistert von der römischen Stadtplanung und Palladios Architektur ist.
Dann kam auch schon das Ende unseres zweitägigen „Kurzurlaubs“ und ich musste am nächsten Morgen wieder um 6:30 Uhr aufstehen um pünktlich in Venedig zu sein. Und die ersten Tage waren entmutigend. Aufgrund einer kurz bevorstehenden Abgabe war die Werkstatt sehr gestresst und es machte den Eindruck, als wäre ich gerade eine zusätzliche Belastung. Um jede kleine Aufgabe musste ich bitten und das, ohne Sprachkenntnisse, auch so schnell wie möglich verstehen. Aber gestärkt vom Wochenende, dass ich mit meinem Gastbruder und seinen Freunden auf einem Konzert, einer anderen Deutschen, Ronja, in Padova und einer Gruppe von Teilnehmern auf den Sonntagsmärkten Vicenzas verbrachte, startete die nächste Woche deutlich positiver.
Ich durfte mittlerweile sogar Dinge machen, die tatsächlich einen Sinn hatten und wenn es 8 Stunden Knöpfe annähen war. Tatsächlich freute mich das dann und das positive an der monotonen Arbeit war, dass ich viel Zeit hatte um die Arbeitsweise in der Werkstatt, die sich sehr von meiner gewohnten unterscheidet, beobachten konnte. Immer wieder war ich überrascht und verblüfft, wie unterschiedlich man manche Dinge machen kann und zu einem gleichwertigen Ergebnis kommt. Häufig wird das in der Ausbildung vom Meister ja anders vermittelt. Auch in der zweiten Woche kämpfte ich immer wieder um die Aufmerksamkeit der Instructori, doch ich fühlte mich nicht mehr so unnütz.
La dolce vita
Das zweite Wochenende füllte ich mit der Suche nach dem besten Eis, der besten Pizza und dem schönsten Ort der Stadt, die allumfassend erfolgreich war. Ronja und ich waren mittlerweile ein gutes Expeditionsteam und lernten abends, in den vollen Gassen bei Livemusik und Aperol-Sprizz (wird rund um die Uhr, überall und von Jedem getrunken) viele internationale und italienische Jugendliche kennen.
In der dritten Woche bemerkte ich, dass ich mittlerweile fast fehlerlos verstand, was die Instructori mir erklärten, was mich sehr freute. Allerdings fehlte noch ein ganzes Stück, um mit mehr als nur „Si“ oder „No“ und „capico“ zu antworten. Auch der Stress in der Werkstatt hatte sich gelegt und so war die Stimmung einfach angenehmer.
Ab dem letzten Mittwoch flog die Zeit, die eh schon gerast war, nur so vorbei und promt saß ich, nach einer langen Abschiedsnacht, wieder im Flieger gen Hamburg.
In meiner Zeit habe ich das Leben einer fantastischen, italienischen Familie kennen gelernt, mir einen Mini-Sonnenbrand eingefangen, einen Betrieb von innen gesehen, der faszinierende Dinge herstellt und dabei gelernt, dass viele Wege nach Rom führen (vorsicht!witz!), eine Freundschaft geschlossen und am aller wichtigsten: gemerkt, wie wichtig es ist, selbst Initiative zu ergreifen. Wenn man alleine in der Fremde ist, hat man auch alleine die Verantwortung dafür, eine schöne Zeit zu haben und das Beste aus vielleicht anfänglich schwierigen Situationen raus zu holen. Die Wirkung eines Lächelns ist dabei nicht zu unterschätzen.
Wenn ich an die Zeit zurück denke, findet dieses auch direkt wieder auf meine Lippen zurück.
Source: www.hwk-oldenburg.de